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… die zwei Seiten ein- und derselben Medaille in Zeiten hohen Wohnraumbedarfs – nicht nur bei „Aubing Mitte“!

In der Vergangenheit waren es vor allem die bedeutenden Organe und großen Blutgefäße des Münchner Grünsystems, die unter Druck standen. So ist es beispielsweise in den 80er Jahren gelungen, die Folgen fürs Münchner Grün bei einer Durchschneidung des Allacher Waldes im Rahmen des Baus der A99 infolge der geplanten „mittigen“ Trassenführung durch Verlagerung an den Nordrand des Waldes erheblich abzumildern. Leicht war es sicher auch damals nicht (wahrscheinlich war es das nie), einen Ausgleich zwischen Baudruck und Lebensqualität in München zu organisieren.

Unterschiedslos forderte auch im Westen von München im Stadtbezirk Aubing der Siedlungsdruck seit jeher von der Natur wie auch vom Siedlungsgrün gleichermaßen seinen Tribut.

In diesem Moment steht nun, ausgelöst durch das Bebauungsplanverfahren „Aubing Mitte“, das Feinadersystem des Münchner Grüngefüges zur Disposition, das letztlich wiederum alle Organe versorgt. Sollte sich „Aubing Mitte“ durchsetzen, stünde damit auch Münchens Naturerbe eine weitere „Aussterbe-Welle“ bevor.

Einführung

Anders als in der Vergangenheit, sollen jetzt neuartige Planungsinstrumente „kurzen Prozess machen“, wie das nun beim Bebauungsplan „Aubing Mitte“ angewandte „Beschleunigte Verfahren“, welches sich dadurch auszeichnet, dass auf eine Umweltprüfung verzichtet wird.  Der Entfall der Umweltprüfung bringt es mit sich, dass Belange des Biotop- und Artenschutzes, deren Berücksichtigung nicht zuletzt aufgrund der Naturschutzgesetze im Regelverfahren gängige Praxis war, nun eben nicht mehr berücksichtigt werden.

Damit nicht genug. Der im Verfahren von „Aubing Mitte“ durchexerzierte Verzicht auf einen Umweltbericht negiert die berechtigten Informationsbedürfnisse der Münchner Bürgerinnen und Bürger und schleift verbriefte Grundrechte. Der nach EU-Recht jedem EU-Bürger zustehende Zugang zu Umweltinformationen ist nichts, was von der Stadtverwaltung nach Gutsherrnart bei einem Bebauungsplan gewährt und bei einem anderen Bebauungsplan verwehrt werden kann. Das Umweltinformationsgesetz verschafft einem Grundrecht Geltung!


Wenn dieses Beispiel Schule macht, könnten die Auswirkungen für das Münchner Grüngefüge ähnlich verheerend sein, wie Beschädigungen bedeutender Organe oder großer Blutgefäße – und es ist noch nicht einmal jemand da, der einem den Befund (über die Schädigungen und Verluste) aushändigt. Sollte das im Stadtbezirk Aubing eingesetzte „Beschleunigte Verfahren“ auch andernorts zur Anwendung kommen – und die Verlockung ist im Erfolgsfall sicherlich groß – , dann hat dies Auswirkungen auf unzählige ähnlich gelagerte Bebauungsplanvorhaben in ganz München. Es verwundert, wie man nach “Stuttgart 21” und dem allerorten zu beobachtenden Versuch, daraus Lehren für künftige Planungen zu ziehen und die Bürgerschaft einzubeziehen, gerade in München den entgegengesetzten Weg beschreiten will und für ein Bebauungsplanvorhaben das Beschleunigte Verfahren anwenden möchte?


Mit 26 Arten, die bayernweit auf der Roten Liste geführt werden oder gemäß Arten- und Biotopschutzprogramm (ABSP) der Stadt als stadtbedeutsam oder lokal bedeutsam eingestuft werden, siedelt auf dem Areal von „Aubing Mitte“, insbesondere im Umfeld der Colmdorfhecke und der dieser Hecke vorgelagerten Wiesen und Säume eine erstaunliche Anzahl naturschutzfachlich bedeutsamer und wertgebender Arten.

Zur Durchführung des städtebaulichen und landschaftsplanerischen Wettbewerbes hieß es seinerzeit lapidar: „Im Planungsgebiet befinden sich keine kartierten Biotope mit schützenswerten Tier- und Pflanzenarten“.

Zur Abbildung eines Aubinger Naturerbes, das nun in seiner Existenz bedroht ist, sind für Sie vor Ort erstellte Fotobelege bzw. im Falle der Fledermäuse Abbildungen der Batcorder-Ergebnisse (nachtaktive Fledermausarten über Batcorder nachgewiesen) von 25 der bislang dort festgestellten Arten online verfügbar auf der soeben freigeschalteten Website www.colmdorf3natur.de.

Hier harren nun Idas-Bläuling, Grasfrosch, Grünspecht, Genfer Günsel, Heide-Nelke oder Dreifinger-Steinbrech einträchtig und stellvertretend für viele andere Arten auf ihre seit langem überfällige Berücksichtigung im Planungsprozess oder wenigstens die Aufklärung der Öffentlichkeit zur planerischen Hinnahme ihrer Beseitigung. Für Laien mag der naturschutzfachliche Wert zugegebenermaßen nachvollziehbarer sein, wenn ein gewaltiger Adlerhorst auf „den Zinnen der ehemaligen Telekomgebäude“ thronen würde oder vor Ort hundertjährige knorrige Huteeichen den Schatten für friedlich grasende Heidschnucken spenden würden… – aber nicht alle naturschutzfachlich bedeutsamen Lebensräume müssen unbedingt glänzen. München hat bis in die jüngere Vergangenheit in seiner Verantwortung für das bayerische Naturerbe eigentlich eine lange und durchaus auch erfolgreiche Tradition im Bemühen um einen Ausgleich und sorgsamen Umgang mit seinen Siedlungsbiotopen, deren Wert sich oft erst auf den zweiten Blick erschließt.


Die für „Aubing Mitte“ geplante Bebauungsstruktur grenzt sich bewusst von der Umgebung ab! Dies konstatiert niemand Geringeres als das Preisgericht selbst, welches den aktuellen Entwurf zum 1. Preisträger gekürt hat, in seiner Begründung.

Dies ist auch nicht weiter verwunderlich. Wegen der Anwendung des Beschleunigten Verfahrens entfiel die Umweltprüfung und mit ihr die Bestandserfassung und –bewertung der Tier- und Pflanzenwelt („nichts sehen“). Die Hinweise und Einwände seitens der Bevölkerung bezüglich schützenswerter Natur vor Auslobung des Wettbewerbs wurden ignoriert („nichts hören“). Den am Wettbewerb teilnehmenden Architekten und Landschaftsarchitekten wurden somit wichtige Informationsgrundlagen schon bei der Auslobung vorenthalten („nichts wissen“). Was hätten die in der Regel exzellenten Teilnehmer-Büros für innovative, zukunftsweisende und nachhaltige städtebauliche Lösungen für diesen Siedlungskomplex erarbeiten können? Stattdessen transportiert die Auslobung eine Haltung à la „aufm Gelände und außenrum gibts nur Gschwerl“, wie man auf gut bayrisch sagt. Deshalb wurde auf planerisch relevante Umfeld-Bindungen kein Wert gelegt.

Somit nimmt die nun vorliegende Wettbewerbslösung auch kaum Rücksicht auf ihre Randbereiche, sondern übt stattdessen sogar „Druck“ auf eben diese schutzbedürftigen Ränder aus, anstatt sich nach innen zu orientieren. Details zu dieser gekürzten Darstellung finden Sie im Schreiben an Oberbürgermeister Christian Ude www.colmdorf3natur.de/Schriftwechse/3/).


Das Ergebnis dieses „Drucks“ ohne Rücksicht auf die schutzbedürftigen Ränder ist nun zu bestaunen.

Eine Bürgerinitiative, die sich längst nicht nur aus der Nachbarschaft speist, läuft gegen das Bauvorhaben Sturm (vgl. www.aubing-mitte.de und die dortige Change.org-Petition und die zugehörige Facebookseite).

Als Indikator für die Lebensqualität unserer Umwelt steht die dort siedelnde wertgebende Tier- und Pflanzenwelt vor dem Exitus. Sie ist immerhin Teil eines Aubinger Naturerbes, das es über mehrere Aussterbe-Wellen der letzten Jahrzehnte hinweg geschafft hat, bis in die heutige Zeit hier ein Refugium vor Ort zu finden.

Soll in Anbetracht des dringenden Wohnraumbedarfs die erneute Auslobung eines neuen Architektenwettbewerbs verhindert werden, was nur wieder zusätzlich Zeit kosten würde, die Anzahl der Wohneinheiten beibehalten werden und die Stellung der „wagenburgartig“ angeordneten Gebäudekörper (mit Ausnahme des Aufbrechens der Riegel) nicht zu stark abgeändert werden, schränkt sich der Handlungsspielraum automatisch ziemlich ein.


Lediglich im Süden bestünde eine einzigartige Chance. Das Geradeziehen der flächenfressenden Zickzack-Führung des nördlichen Lärmschutzriegels und das Abschmelzen des Abstands-, Verschnitt- und Restflächengrüns zwischen den Gebäudekörpern würde Platz schaffen. Rücken die beiden südlichen „Wagenburgen“ nur etwas nach Norden, eröffnet sich zwischen den Gebäudekanten und der südlichen Grundstücksgrenze ein rund 300 m langer Freiraum, der sich im Osten auf einer Breite von 44 m und im ökologisch noch wertvolleren Westen sogar auf 54 m erstreckt. Dem Planungsbegünstigten bzw. Investor böte sich die Chance, bei gleicher Anzahl von Wohnungen, einen kompakten Bürgerpark mit 1,5 ha anzulegen. Im Zusammenspiel mit der Colmdorfhecke (knapp 5.000 m²) und den neu gewonnenen Grünflächenteilen (rund 10.000 m² – möglichst unter Erhalt wenigstens einiger der vorgelagerten mageren Blumenwiesen und Säume) ließen sich so Beeinträchtigungen der dort siedelnden Tier- und Pflanzenartenvielfalt reduzieren. Dieser Bürgerpark würde zudem eine hohe Aufenthaltsqualität aufweisen, da die Kulisse der Colmdorfhecke vom ersten Tag an ihren Erlebniswert für die Erholungssuchenden entfaltet (statt als Restfläche von den wuchtigen Baukörpern verdeckt zu sein) und die Bürgerinnen und Bürger wären nicht von allen Seiten wie auf dem Präsentierteller von Geschosswohnungsbauten umgeben.


Sollen die Trommelwirbel des Buntspechts und das Lachen des Grünspechts auch für die kommenden Generationen fester Bestandteil des alljährlichen Frühlingskonzerts sein, muss es wieder „Münchner Linie“ werden, siedlungsnah den bereits bestehenden Gehölzstrukturen (wie beispielsweise der Colmdorfhecke) ihren gebührenden Stellenwert einzuräumen. Soll der Zauber bunter Wildblumen mitsamt ihrer Vielfalt an Bienen und Schmetterlingen in der Schule die sommerlichen Zeichnungen unserer Kinder prägen, muss es wieder „Münchner Linie“ werden, naturschutzfachlich bedeutsame Offenlandlebensräume wie (die der Colmdorfhecke vorgelagerten) Wiesen und Säume rechtzeitig als solche zu erkennen, um sie dann in die sowieso erforderlichen künftigen Grünflächen zu integrieren. Zusammen mit einem zusätzlichen kleinen Tümpel für Grasfrosch, Bergmolch und Libellen oder einer Kiesfläche für den Idas-Bläuling und das Frühlings-Fingerkraut, beleben solche Freiräume nicht nur den Erlebniswert der Wohnanlagen für die künftig mit ihren Kindern zuziehenden Eltern, sondern sind zugleich lebendiger Ausdruck eines zeitgemäßen Planungsverständnisses mit seiner Rücksichtnahme auf die vor Ort siedelnde Tier- und Pflanzenwelt.

In den Münchner Bebauungsplänen wird das Potential der per Satzung ausgewiesenen Grünflächen als künftiger Naturerfahrungsraum für unsere Kinder noch nicht hinreichend genutzt. Eine entsprechende Ausstattung und Pflege vorausgesetzt, könnte hier Kindern von klein auf und unabhängig von Herkunft oder Mobilität der Zugang zu ersten Erlebnissen in und mit der Natur und vor der eigenen Haustür ermöglicht werden. Die unter www.colmdorf3natur.de bereitgestellte Galerie soll noch primär die Vielfalt wertgebender Tier- und Pflanzenarten der Colmdorfhecke und ihrer vorgelagerten Wiesen und Säume belegen (stellvertretend für andere zeitgleich laufende Bebauungspläne, wo ebenfalls keine Bestandserfassungen stattgefunden haben). Der soeben gestartete und im kommenden Jahresverlauf erweiterbare und ebenfalls über diese Website zugängliche YouTube-Account www.youtube.com/channel/RaumZumLeben dient primär mehr dazu, eine erste Ahnung vom Erlebniswert solcher Naturerfahrungsräume gerade im direkten Siedlungsbereich für jedermann anschaulich zu visualisieren.


In welchem München wollen wir künftig leben? Sich diese Frage zu stellen, dazu bedarf es keines Mandats, hier sind letztlich wir alle als Bürgerinnen und Bürger dieser (noch immer) schönen Stadt aufgerufen.

Bitte setzen Sie sich bei Ihrer zuständigen Stadträtin oder Ihrem zuständigen  Stadtrat für die Idee eines Bürgerparks ein, nicht nur im Areal des Neuaubinger Telekomgeländes, sondern der Idee solcher Bürgerparks, die das Feinadersystem des Münchner Grüngefüges aufrecht erhalten, gerade in Zeiten hohen Wohnraumbedarfs bei den künftigen Bebauungsplänen den Rücken zu stärken. Bitte setzen Sie sich zum Wohle der künftig zuziehenden Familien bei den Investoren, sprich den Planungsbegünstigten, dafür ein, dass solche Bürgerparks gerade in Zeiten zunehmender Überbauung und Flächenversiegelung mit Rücksicht auf ihre zunehmende Bedeutung als „Naturerfahrungsraum“ entsprechend ausbildet und gepflegt werden. Ermöglicht dies doch Eltern und ihren Kindern unabhängig von Herkunft und Mobilität gefahrlos und in unmittelbarer Nähe ihres Lebensmittelpunktes ein Naturerleben, das der dörflichen Umgebung am Stadtrand angemessen ist und über Vogel, Frosch, Heupferd und Schmetterling Kindern in einer immer mehr von Technik und Naturferne dominierten Welt den Zugang zur Natur öffnet.

Vielleicht lässt es sich so gemeinsam organisieren, dass die nun auf Münchens Naturerbe anrollende Aussterbe-Welle im Feinadersystem des Münchner Grüngefüges nicht ganz so schlimm ausfällt. Raum zum Leben schaffen und Lebensraum bewahren sind immer die zwei Seiten ein- und derselben Medaille in Zeiten hohen Wohnraumbedarfs – nicht nur bei „Aubing Mitte“!